London - ein Spaziergang durch die Stoke Newington Church Street

Nachdem wir die letzten Tage in Südamerika am Strand von Pinamar verbracht und die Sonne und den Sommer genossen haben, war der Moment gekommen um Abschied zu nehmen. Sieben Monate sind wir quer über den Kontinent gereist und haben so vieles gesehen und in unserem Herzen aufgenommen. Es fiel mir schwer abzureisen, denn bedeutet es auch das nahende Ende eines aufregenden und interessanten Lebensabschnitts. Und gleichzeitig ist da auch die Vorfreude präsent, die ein wunderbares und herzerwärmendes Wiedersehen in der Heimat verspricht. Diese gemischten Gefühle die von mir Besitz ergreifen verwirren mich, denn machen sie mich einen Tag traurig und am nächsten wieder glücklich.

Wir haben das Schicksal entscheiden lassen - oder besser die Suchmaschine welche die günstigsten Flugangebote auswirft - wo in Europa wir anlanden werden. Und es war wohl tatsächlich irgendeine Art von positiv beeinflussender Energie vorhanden, denn der günstigste Flug ging direkt nach London, jene Stadt von der Alejandro schon so lange träumt. Nach 13 Stunden Flugzeit sind wir um 3 Uhr Ortszeit in der englischen Hauptstadt angekommen. Eigentlich erst Mitternacht nach unserer inneren argentinischen Uhr und Zeit schlafen zu gehen, aber daran war erstmal nicht zu denken. Um 10 Uhr dürfen wir bei unserem Couchsurfing-Gastgeber anklopfen und nach einer kurzen Höflichkeits-Plauderei falle ich sofort in einen zweistündigen Tiefschlaf bevor wir uns auf zu einem kurzen Spaziergang ins Londoner Zentrum machen. Es ist bitterkalt, gestern hatten wir noch 32° in Buenos Aires, heute trotz Sonnenschein nur noch 3° in London.


Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam mit John, unserem Gastgeber, und er lädt uns ein zu einem Spaziergang durch sein Wohnviertel. Wir befinden uns etwas außerhalb des touristischen Zentrums und genießen die Ruhe und die warmen Wintersonnenstrahlen auf unserer Haut. Es ist wunderbar mit einem Einheimischen durch die Straßen zu ziehen und die Stadt durch seine Augen kennen zu lernen. John führt uns zum gegenüberliegenden Park und erzählt, dass dies früher ein privates Anwesen war und aus Geldnot an die Stadt verkauft wurde, die daraus einen öffentlichen Park gestaltete, der genau so aussieht wie man sich englische Parkanlagen vorstellt: gepflegt, elegant und selbst im Winter mit grünem Rasen. Das Herrenhaus wurde zu einem kleinem Kaffeehaus umgestaltet und auch die ehemaligen herrschaftlichen Räume können bei freiem Eintritt besichtigt werden.


John führt uns weiter durch die Stoke Newington Church Street, die ein ganz besonderes Flair aufweist, denn von hier wurden sämtliche große Firmen und Franchiseunternehmen verbannt. In dieser Straße dürfen sich nur Betriebe ansiedeln, deren Eigentümer selbst im Betrieb tätig sind und auch vor Ort produzieren und wirtschaften. Vorbei an den verführerisch duftenden Bäckerein, den einladenden Restaurants, kreativen Wohnraum-Deko-Geschäften oder kleinen Bücherläden kommen wir aus dem Staunen nicht heraus.



Am Ende der Straße erwartet uns dann etwas völlig Unerwartetes und Beeindruckendes. John meinte, wir durchqueren noch den Abney Park um uns dann auf der anderen Seite auf den Rückweg zu machen. Wir staunen nicht schlecht als wir beim Eintreten plötzlich verwitterte Grabsteine links und rechts von uns sehen. Es ist ein Park der besonderen Art, denn es handelt sich dabei um einen aufgelassenen Friedhof, der zu einem öffentlichen Park umgewandelt wurde. Es ist einer der sieben "Magnificent Seven", privaten Friedhöfen welche in den 1830ern außerhalb von London errichtet wurden. "Magnificent" aufgrund ihrer landschaftlich und architektonisch besonderen Gestaltung. Offiziell wurde der Friedhof in den 1970ern stillgelegt, da das Gelände bereits voll belegt war, dennoch finden wir auf unserem Spaziergang einige schön gepflegte und glänzende Grabsteine mit einer neuen Inschrift aus den Jahren 1990 bis Anfang 2000. Der Großteil der Grabsteine jedoch ist verwittert und die Natur erobert sich Stück für Stück das Land zurück. Viele Inschriften weisen ein Sterbedatum noch vor oder während dem zweiten Weltkrieg auf, man sagt, dass die Familienangehörigen des Verstorbenen wohl im Krieg umgekommen oder vor ihm geflohen und nie wieder zurück gezogen sind. 

Es herrscht eine besondere Atmosphäre in diesem Park. Man kann die Geschichten der Verstorbenen richtig erspüren, wenn man aufmerksam über die Wege und vorbei an den einzelnen Gräbern schreitet. Doch herrscht da auch dieser starke Kontrast zu jenen Menschen vor, die hier fröhlich und munter mit ihren Hunden durch den Park spazieren. Gänsehaut-Feeling.



Es war ein wunderschöner Rundgang durch das Viertel, der von John mit vielen Geschichten und historischen Daten ergänzt wurde. Ein interessanter Einblick in den Londoner Lebensstil abseits der touristischen Zentren. Wer sich länger in London aufhält, sollte der Stoke Newington Church Street und den beiden umliegenden Parkanlagen unbedingt einen Besuch abstatten.

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