Vielen ist dieses wunderbare Fleckchen Erde gar nicht bekannt, doch uns zieht es immer wieder magisch an. Magisch im wahrsten Sinne des Wortes, denn ist diese Insel im kleinen Süden Chiles nicht nur ein Stückchen unberührtes Land mit einer umwerfenden Landschaft, strahlt sie auch etwas Mystisches aus, etwas Sagenumwobenes. Als die Spanier den Kontinent eroberten und den Bewohnern ihre Kultur aufzwangen, blieb Chiloé davon teilweise verschont, denn die hier lebende Bevölkerung, die Ureinwohner mit Namen Mapuche, verteidigten ihr Territorium erfolgreich. So kommt es auch, dass heute noch viele Bewohner starke indigene Wurzeln haben. Vor allem in den Dörfern im Süden der Insel leben die Menschen noch die alten Traditionen ihrer Vorfahren, den Mapuche. Auch wir machen uns auf die Suche nach einer Kräuterfrau, doch davon später mehr.
Die letzten Tage am Festland haben wir wie schon berichtet in Puerto Montt verbracht, zu Besuch bei Idelfonso und seiner Familie, guten Freunden von Alejandro. Auch Idelfonso ist auf Chiloé aufgewachsen, dort haben die beiden zusammen mit Idelfonso´s Bruder Carlos Mario und Freundin Vivi von Kindesalter an stets die Sommerferien gemeinsam verbracht. Auch von Carlos Mario haben wir eine Einladung erhalten, also machen wir uns nun auf den Weg dorthin auf. Sein Haus steht in Llau Llao, einem kleinen Dorf gleich neben der Inselhauptstadt Castro, an der Ostküste der Insel.
Die Reise von Puerto Montt nach Castro dauert mit dem Bus etwa drei Stunden, wir wollen es diesmal allerdings per Anhalter versuchen. Idelfonso nimmt uns auf seinem Weg in die Arbeit die ersten 30 Minuten mit und lässt uns bei der Abfahrt der Ruta 5, der Panamericana, raus. Wir versuchen unser Glück für etwa 30 Minuten, doch bis dahin ist im Morgenverkehr keiner gewillt uns mitzunehmen. Und da setzt auch schon der für die Region typische Regen ein, wir schlüpfen in der Hütte einer Bushaltestelle erstmal unter und warten ab. Als dann auch noch ein Regionalbus vorbeikommt und uns der Fahrer sagt, dass der Fahrpreis bis zur Fähre nur 1.500 Pesos (etwa 2 Euro) für eine Fahrt von weiteren 30 Minuten kostet, nehmen wir die Gelegenheit wahr und entfliehen dem Regen. In Pargua warten wir auf die nächste Fähre nach Chacao, welche im 15-Minuten-Takt abfahren. Die Überfahrt ist für Fußgänger übrigens gratis und dauert etwa 30 Minuten. Ein eigenartiges Gefühl überkommt einen, wenn man als so winzig kleiner Fußgänger dieses riesige Fährschiff, ein gewaltiges Metallmonster, betritt und hinter einem bereits Autos, Pickups und große LKW auf das Auffahren warten. Um dieses Gefühl schnell abzuschütteln, steigen wir auf das obere Deck und genießen von dort aus die Überfahrt über den Kanal von Chacao. Der Regen hat sich wieder gelegt und es blinzelt ab und zu die Sonne durch die Wolkendecke, der Fahrtwind jedoch bläst eisig kalt über uns hinweg. Chiloé heißt uns mit seinem typisch wechselhaften Wetter herzlich willkommen. Schon von Weitem spüren wir das Besondere dieser Insel, etwas Mystisches und Unbeschreibliches umfängt uns. Für manche, die nicht an die alten Kräfte und Energien der Natur glauben wollen, mag es vielleicht einfach nur eine Insel mit einer schönen Landschaft sein, die eine Reise wert ist. Doch für uns ist es mehr. Manchmal lassen sich sogar Delphine blicken und begleiten das Fährschiff, doch diesmal waren im Meer nur die Wellen des Schiffes zu sehen.
Schon auf der Fähre beobachten wir potentielle Mitfahrgelegenheiten, entscheiden uns dann aber erstmal von Bord zu gehen und uns an den Straßenrand zu stellen. Doch noch während wir mit unseren Rucksäcken geschultert die 50 Meter zum nächsten möglichen Halteplatz marschieren, macht ein LKW hupend auf sich aufmerksam und fährt rechts ran. Ob er uns mitnehmen kann, fragt der Fahrer. Natürlich, da steigen wir dankend ein, bevor uns wieder der nächste Regenguss durchnässt. Aufgeregt steige ich die Stufen hoch in die Fahrerkabine, weiß ich doch nicht was mich erwartet, da dies meine erste Erfahrung per Anhalter ist. Und es war eine tolle Erfahrung, die das Vertrauen definitiv wert war. Ich darf hinten auf dem Bett Platz nehmen gemeinsam mit unseren Rucksäcken, während Alejandro vom Beifahrersitz aus sich mit dem Fahrer unterhält. Die ersten zehn Minuten unserer gemeinsamen Fahrt saß ich einfach nur staunend da, blickte fasziniert über die tolle Aussicht von hier oben aus dem Fenster und fühlte mich freudig wie ein kleines Kind in einer neuen unbekannten Welt.
Die gemeinsame Fahrt mit Herrn Manuel in seinem LKW dauert etwas mehr als eine Stunde. Er kann uns mitnehmen bis Dalcahue, einer kleinen Stadt von wo aus Castro bereits in 15 Minuten erreichbar ist. Wir plaudern viel über Gott und die Welt, das Leben in Österreich sowie in Chile, über das Reisen und die Arbeit als LKW-Fahrer. Manuel erzählt uns, dass das Leben als LKW-Fahrer anstrengend wie auch aufregend ist, denn man kommt sehr viel herum, doch ist selten bei der Familie zuhause. Oftmals nehmen sie Anhalter mit, da die Fahrt somit unterhaltsamer und kurzweiliger ist. Vor allem im Süden Chiles sei es üblich per Anhalter zu reisen und im Sommer sind die Straßenränder voll mit Wartenden, hauptsächlich Rucksacktouristen. Viele Fahrer seien auch schon sehr vorsichtig geworden, was das Mitnehmen von Anhaltern betrifft, denn es gibt viele Gauner die sich als Touristen ausgeben und einen dann überfallen und ausrauben. Per Anhalter zu reisen erfordert viel Vertrauen, denn auch als Reisender weiß man nicht, an wen man gerät. Dass allerdings auch seitens der Fahrer diese Zweifel bestehen, war neu für mich. Die Zeiten ändern sich, meint Manuel. Auch erzählt er uns von einem Überfall, als er auf einem Parkplatz Pause machte und ihn eine Gruppe von vier Banditen die Pistole an den Kopf hielt, in die Fahrerkabine zwang und dort fesselte und knebelte. Das seien jedoch richtige Banden, welche organisiert arbeiten. Sie hätten den LKW an einen anderen Ort gefahren, die Ladung Lachs in einen anderen LKW umgeladen und ihn dann dort stehen gelassen. Manuel musste insgesamt zwölf Stunden ausharren bis es ihm endlich gelang sich selbst zu befreien. Nach dieser Geschichte wusste ich nichts darauf zu antworten, ich war perplex dass ich das nun von einer Person höre der das am eigenen Leib passiert ist. Und dennoch fährt er nach wie vor mit viel Freude und liefert Lachs aus.
Fasziniert von meiner ersten Erfahrung per Anhalter in einem LKW steigen wir an der Abzweigung nach Dalcahue aus uns warten auf der Ruta 5, der Panamericana, auf den Minibus der uns für nur 700 Pesos (0,90 Euro) am Weg nach Castro an der Kreuzung mit Llau Llao aussteigen lässt. Die letzten 100 Meter zum Haus von Carlos Mario sind nun kein Hindernis mehr und wir klopfen in freudiger Erwartung an die Tür. Doch niemand öffnet, sind doch alle arbeiten bzw. in der Schule. In unserer Aufregung haben wir völlig vergessen, dass andere Leute auch arbeiten während wir am Reisen sind. Doch Alejandro hat einen Plan B: während der Sommerferien in Kindheitstagen hat er stets viel Zeit bei Tante Gloria am Bauernhof verbracht, die müsste zuhause sein. Also schultern wir die Rucksäcke und marschieren zehn Minuten zu ihrem Hof. Gott sei Dank, sie öffnet uns die Türe, denn wir sind mittlerweile ziemlich erschöpft und hungrig. Es ist mittlerweile 13 Uhr, unsere Reise von Puerto Montt nach Llau Llao hat circa vier Stunden gedauert und war ziemlich abwechslungsreich und aufregend. Mit freudiger Überraschung bittet uns Tante Gloria hinein und tischt uns sogleich auch Mittagessen auf. Wir verbringen den Nachmittag bei ihr, tauschen Neuigkeiten aus, erzählen von unseren Abenteuern, spazieren über die Schafweiden und ich gönne mir ein kleines Nickerchen auf der Couch neben dem Ofen.
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