Zu Besuch bei einer chilenischen Familie

Wir sagen der Großstadt Santiago "Auf Wiedersehen" und verabschieden uns von Alejandro´s Mutter, seinem Stiefvater und Geschwistern. Der Abschied fällt dieses Mal nicht allzu schwer, da wir in ein paar Monaten schon Weihnachten gemeinsam in deren Heimatstadt Punta Arenas verbringen werden. Für uns noch ein weiter Weg dorthin, gibt es doch noch viel zu sehen auf der etwa 3.000 Kilometer langen Strecke in den Süden. 
Dass die nächsten zwei Wochen geprägt sein werden von Verwandtschaftsbesuchen war uns zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Durch die sozialen Medien wurden viele Freunde, Bekannte und Verwandte aufmerksam auf unseren Aufbruch aus der Hauptstadt und schrieben uns per Email, WhatsApp und Messenger, ob wir denn nicht auch gerne bei ihnen vorbei kommen möchten, sie würden sich sehr freuen uns zu sehen. Gerne nehmen wir die Einladungen an, denn auch Alejandro freut sich altbekannte Gesichter nach langer Zeit wieder zu sehen. In Chile leben Familienmitglieder selten in der selben Stadt oder Region. Aufgrund der geographischen Gegebenheiten (Chile ist 5.000 km lang, aber nur 200 km breit und durchzogen von der andinischen Bergkette) konzentriert sich das Leben hauptsächlich rund um die Region "Metropolitana de Santiago". Hier siedeln sich die großen Firmen an, es herrscht ein reges Dasein und viele gute Arbeitsplätze ziehen die Leute an. Man kann sagen, von Santiago bis nach Puerto Montt, welches etwa 1.000 km südlich liegt, spielt sich das große Leben ab, daher ziehen auch immer mehr Menschen in diese Region. Weiter südlich von Puerto Montt prägen hauptsächlich Bergketten, Flüsse, Seen und Meeresbuchten die Landschaft, was die dort lebende Bevölkerung (so auch die Einwohner von Punta Arenas im äußersten Süden) etwas abschneidet vom geschäftigen Treiben in Zentralchile rund um die Hauptstadt. Chilenische Familien haben meist zwei bis vier Kinder, dementsprechend viele Onkeln, Tanten und Cousins bzw. Cousinen, die sich verstreut in ganz Chile niederlassen.

Wir nehmen die Einladungen nur allzu gerne an und starten Ende August mit dem Zug von Santiago Richtung Rancagua, unserem ersten Stopp nur 40 Minuten von Santiago entfernt. Noch haben wir keine Vorstellung davon, wie sich die nächsten Wochen gestalten werden, wir lassen es auf uns zukommen.

In Rancagua werden wir herzlich willkommen geheißen von Alejandro´s Tante Yola und Cousine Alicia samt den Kindern Ignacio und Constanza. Hier spürt man noch stark den hektischen Einfluss der Großstadt, alles dreht sich um Arbeit, Familie, Kinder und wie man den Alltag am Besten meistert. Wir werden jedoch so herzlich aufgenommen und umsorgt, dass wir davon wenig mitbekommen. Von Tante Yola werden wir und die Kinder tagtäglich mittags mit guter Hausmannküche verköstigt, während Cousine Alicia auf dem Marktstand arbeitet. Tagsüber unternehmen wir kleinere Ausflüge in der Umgebung, die Abende werden in gemütlichen Zusammensein verbracht. 


Sehenswert in Rancagua ist zum Beispiel das Stadion, in dem Rodeos stattfinden. Es ist zwar gerade geschlossen, aber wir finden dennoch eine Hintertüre und dürfen uns umsehen. Sind die Rodeos zwar stark in der Kultur der Region hier verankert, finden sich dennoch zusehend mehr Aktivisten, die sich gegen das Rodeo-Spektakel im Namen des Tierschutzes auflehnen. 
Auch sehr nett ist das Denkmal der Minenarbeiter-Familie, welches am Weg zur Kupfermine El Teniente liegt, dem größten bekannten Kupfervorkommen. Hier werden von 4.800 Beschäftigten jährlich 470.000 t Kupfer abgebaut, man mag sich mal vorstellen, was das an Gewinn erwirtschaftet. Chiles größtes Exportgut und somit stärkster Wirtschaftszweig ist Kupfer. Was man allerdings beiläufig zu den Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter hört, ist eher deprimierend. Doch die Arbeiter sind stolz auf ihren Job und beginnen oft schon mit 12 Jahren in den Minen zu arbeiten.




Nach ein paar schönen gemeinsamen Tagen geht es weiter nach Temuco, genauer gesagt Metrenco, einer Nachbarortschaft, von wo aus uns eine Einladung von Cousin Patricio, Gattin Anita und deren Kindern Tomás und Constanza erreicht hat. Wir sind nun etwa 600 km in den Süden gereist, wo schon ein anderes Ambiente herrscht. Die Region strahlt mehr Ruhe aus, hat mehr grüne Naturlandschaft zu bieten und viel mehr Bauernhöfe sind zu sehen. Wir sind am "Land" angekommen, unser Herz blüht auf. Cousin Patricio lebt mit seiner Familie unter dem Dach der Schwiegermutter in deren ehemaligen Bauernhof. Ein von Schwiegervaters Hand erbautes Holzhaus steht auf einem unglaublich großen Grundstück und strahlt eine allumfassende Wärme aus. Geheizt wird natürlich mit Holz. In einem Ofen der in der Küche steht, die das gesellschaftliche Zentrum der Familie darstellt. Nachts ist nur das Rascheln der Tiere im Garten zu hören, weiter nichts. Für uns "Städter" eine wunderbare Zeit zum Genießen. Anita ist eine klassische Hausfrau. Sie kümmert sich um die Kinder, kocht sehr leckere regionale Gerichte und ihr liebster Zeitvertreib sind Handarbeiten. Von ihr lerne ich auch wie man ein weiches und schmackhaftes Brot ohne Zugabe von Fett oder Öl zubereitet. Eine Attraktion dieser Tage war auch ein Bauer, der nur wenige Male im Jahr vorbei kommt um selbstgeflochtene Körbe zu verkaufen. Dazu fährt er mit seinem Rad vollbeladen durch die Ortschaften und versucht sein Glück direkt an der Haustür.





Nach einer Woche ziehen wir weiter Richtung Puerto Montt, wo uns ein guter Freund, Idelfonso, mit Gattin Noelia und Sohn Sebastián erwartet. Doch zuvor machen wir noch einen Zwischenstopp in Pucón, nur ein kleines Stück entfernt von Temuco und am Fuße des Vulkans Villarica gelegen. Diesen Ausflug werde ich euch jedoch in einem eigenen Blog erzählen, als Vorgeschmack lass ich euch schon mal ein Foto hier:


In Südamerika ist es einfach sich ohne eigenes Auto fortzubewegen, also nehmen wir auch hier den Reisebus von Pucón nach Puerto Montt. Die fünfstündige Fahrt über 340 km kostet gerade mal 13 Euro, das Ticket kaufen wir einen Tag zuvor. Da wir uns außerhalb jeglicher Touristensaison befinden, ist es sogar möglich die Tickets direkt vor Abfahrt im Terminal zu kaufen, auch das haben wir schon einige Male gemacht und es hat bestens geklappt. 

Unser Reisegefährte Groot ist natürlich auch immer dabei 😉 
Über ihn werde ich euch auch noch in einem eigenen Artikel berichten...

In Puerto Montt erwartet uns also Idelfonso und seine Familie. Die Chilenen sind sehr gastfreundlich, hier gilt der Leitspruch "casa chica per corazon grande", was soviel bedeutet wie "kleines Heim aber ein großes Herz". Das Haus eines Chilenen kann noch so klein sein, er wird dich immer willkommen heißen. Irgendwo findet sich immer ein Schlafplatz, die Schlafgewohnheiten werden schnell mal über den Haufen geworfen und man rückt ein wenig zusammen. Auch wenn Idelfonso diesem Spruch immer wieder bringt, finde ich sein Haus gar nicht so klein. Immerhin hatten wir hier sogar unser eigenes Zimmer ohne dass wir jemanden (meist den Kindern) den Schlafplatz streitig machten. Hund Thor freute sich besonders über die zusätzlichen Streichelheiten.



In Puerto Montt ist das Hafenviertel Angelmó einen Besuch wert. Hier reihen sich die Verkaufsstände  Mann an Mann, es werden die verschiedensten Waren angeboten: Handwerkskunst, Handarbeitsstücke, Souvenirartikel, Käse, Honig und Wurstwaren aus der Region sowie viel frischer Fisch. Auch gibt es hier eine große Auswahl an Restaurant, die mit Blick aufs Meer ihre Hausmannsküche anbieten. Ein 3-gängiges und sehr ausgiebiges Menü inklusive einem Pisco Tour als Aperitif findet man hier bereits um 7 Euro, z.B. als Vorspeise Sopaipillas con Pebre (ähnlich einem Langos serviert mit Pebre, einem Dip aus Tomatenstücken, fein gehacktem Zwiebel und Koriander), Fischsuppe und als Hauptgang gebackenen Fisch mit Kartoffeln und Salat. Die Küche hier ist generell sehr fetthaltig, es wird sehr viel gebacken und frittiert. Oma Elfega hat uns immer ermahnt: "Trinkt eine Tasse Schwarztee dazu, das fördert die Verdauung und hilft gegen das Völlegefühl!" Recht hat sie - ich hab ihren Ratschlag schon zig mal befolgt und es hat immer geholfen! Und Schwarztee ist hier im Süden ohnehin ein sehr gängiges Getränk welches fast immer und überall erhältlich ist. Ich nehme an, dass das irgendwie zusammenhängt 😉




Für nur drei Euro lassen wir uns zu einer halbstündigen Hafenrundfahrt überreden, der Fischer hat so verzweifelt Fahrgäste gesucht, dass wir nicht nein sagen konnten. Der Motor des Bootes war zwar so laut dass der Mann uns keine Erklärungen geben konnte, aber wir haben die Fahrt dennoch sehr genossen. An der Mole entlang ging es durch eine Reihe vor Anker liegender kleiner privater Fischerboote vorbei an den großen Lachsfängern bis hin zum Yachthafen in dem zur Zeit auch so einige Luxusstücke überwintern.
Zurück an Land werden wir Zeuge eines beeindruckenden Spektakels: über eine ehemalige Anlanderampe bahnen sich die Seelöwen ihren Weg auf die Mole. Sie wissen genau, dass es hier am Tagesende wenn der Markt schließt jede Menge Futter für sie gibt und haben keine Scheu vor den Menschen. Lediglich die Hunde machen ihnen den Platz streitig, wovon sich die Seelöwen jedoch recht wenig beeindrucken lassen. Jene Rampe in den Müllcontainer, die eigentlich für die Marktstandbetreiber gedacht ist, nutzen auch die Seelöwen um an die Leckeren im Container zu kommen. Im Ernst - einige sitzen direkt IM Container und lassen es sich schmecken! Und so unbeholfen sie auch aussehen mögen, die Kerle sind ganz schon gelenkig und agil.










Nach drei Tagen machen wir uns wieder auf den Weg. Wir stehen bereits vor den Toren von Chiloé und können es nicht erwarten, auf diese mystische und noch ursprüngliche Insel überzusetzen. Doch davon mehr in der nächsten Geschichte...



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