Der Beginn eines langen Irrweges

Wir sitzen hier also in einem, eher schlichten, Hostel in Cobija, einer kleinen Stadt in Bolivien direkt an der brasilianischen Grenze. Zum ersten Mal auf unserer Reise sind wir der Verzweiflung nahe, da wir nicht wissen welchen Weg wir einschlagen sollen. Unser Abenteuer "Without a Script - ohne Plan" macht uns erstmalig zu schaffen und stellt uns vor eine große Herausforderung. Zwei Tage lang durchforsten wir das Internet nach Empfehlungen anderer Backpacker, sprechen mit Leuten vor Ort und wälzen uns durch Landkarten. Stets kommen wir zu dem selben Ergebnis: wollen wir ausschließlich auf dem Landweg weiter, müssen wir die nächsten zwei bis drei Wochen weiterhin am Rande des Regenwaldes entlang. Dies bedeutet immense Hitze, unzählige Mosquitostiche in einem Malaria- und Denguefieber-Gebiet und ziemlich schlechte Busverbindungen. Per Anhalter zu reisen wird uns auch abgeraten, da aufgrund des wenigen Verkehrs oftmals stundenlang oder einen ganzen Tag lang niemand vorbei kommt. Die heißen Temperaturen von täglich über 30 Grad sind anstrengend und vor allem Alejandro machen sie ziemlich zu schaffen. Als Kind des Südens aus dem kalten Patagonien ist er das heiße Tropenklima nicht gewohnt, aber auch für mich ist es auf Dauer nicht sehr angenehm. 

Wir haben also vier mögliche Routen vor uns:
- am Rande des Regenwaldes weiter in die Mitte Boliviens (unsere ursprüngliche Idee)
- noch weiter in den Regenwald hinein nach Brasilien
- zurück in den Regenwald von Tambopata/Puerto Maldonado
- ein Flug nach La Paz in die Berge


Nach langem Überlegen kommen wir zu dem Entschluss, dass die Gesundheit wichtiger ist als das Vorhaben die gesamte Strecke am Landweg zurück zu legen. Aufgrund der heißen tropischen Temperaturen auf beinahe allen Strecken bleibt uns eigentlich nur mehr die Möglichkeit in die Berge zu fliegen. Auch wenn uns die Lage von La Paz auf knappen 4.000 m Höhe auch etwas zu bedenken gibt (Höhenkrankheit) entscheiden wir uns für diese Möglichkeit. Inlandsflüge sind sehr günstig, somit reisst es uns auch kein allzu großes Loch ins Budget.

Wir packen also unsere Sachen und sitzen schon am nächsten Tag im Flieger nach La Paz. Was uns dort erwarten wird, konnten wir uns beim besten Willen nicht vorstellen! Die erste Überraschung wartete schon am Flughafen. Wir steigen aus dem Flieger und noch während wir auf unser Gepäck warten, merken wir schon die Höhe. Das Atmen fällt schwer, wir müssen langsamer und kontrollierter atmen, unsere Kräfte anders einteilen. Dann vor dem Flughafenterminal: da wir mit einer Militär-Fluglinie gekommen sind, sind wir nun nicht am Haupt-Terminal sondern irgendwo am Militär-Flughafen gelandet, wo es keine touristischen Einrichtungen gibt. Also auch keinen Bankomaten zum Geld abheben, denn wir haben fast keine Bolivianos mehr eingesteckt. Das Taxi müssen wir dankend ablehnen, weil wir dafür zu wenig Geld in der Tasche haben. Ziemlich verzweifelt und hilflos stehen wir nun da und hoffen auf eine schlaue Eingebung. Und da kommt sie auch schon in Form eines Fahrers des Linien-Minibusses, den wir gar nicht wahrgenommen haben. Er hätte noch ein paar Plätze frei wenn wir eine Fahrmöglichkeit suchen. Wir schauen skeptisch: mit unserem ganzen Gepäck in einen Linien-Minibus? Und wieviel kostet es? Ach, kein Problem, das Gepäck auf einen Sitz und wir daneben und die kleinen Rucksäcke auf unsere Schoß. Perfekt - und da fließen auch schon unsere letzten 15 Bolivianos dahin 😅 


Wir lassen uns in der Nähe des Busterminals absetzen, denn wir wollen eigentlich nicht in La Paz bleiben. Zu groß, zu viel Lärm. Unsere Idee ist, gleich weiter nach Copacabana an den Titicaca See zu fahren. Bolivien hat ja einen kleinen Anteil am See und das wollen wir nutzen, wenn uns das Schicksal nun schon unerwarteterweise hierher gebracht hat. Wir erklimmen also mit unseren schweren Rucksäcken langsamen Schrittes und kontrollierter Atmung einen kleinen Hügel, auf dessen Anhöhe der Busbahnhof liegt. Zehn Minuten Fußmarsch der es in sich hat. Es ist eine Sache darüber zu hören, dass es auf 4.000 m Höhe weniger Sauerstoff gibt, aber es dann selbst zu erleben ist eine andere.

Schnaufend erreichen wir den Busbahnhof und entdecken prompt eine Agentur, deren Bus in 15 Minuten abfährt. So ein Glück! Aber wir haben noch immer kein Bargeld 😅 Hektisch wurde uns von der Dame erklärt wo der nächste Bankomat ist, noch ein Wasser für die dreistündige Fahrt gekauft und schon sitzen wir im Bus! Es ist eine schöne Fahrt durch eine wunderbare Landschaft. Um nach Copacabana zu gelangen, müssen wir an einer Stelle auch den Titicaca See überqueren. Als wir aus dem Bus steigen zum Übersetzen, bibbern wir aufgrund der klirrenden Kälte. Am Morgen noch bei 32 Grad im Regenwald und nun bei 2 Grad auf 4.000 m Höhe am Titicaca See... Brrrrr...



In Copacabana angekommen bietet uns die Busagentur einen Spezialpreis in einem Hotel an, mit dem sie zusammenarbeiten. Gut, warum nicht. Wir sind müde, uns ist kalt und wir wollen nicht mehr im Dunkeln nach einem Hostel suchen. Inzwischen hat es nämlich auch leicht zu regnen begonnen, was sich im Lauf des Abends noch zu starkem Schneefall entwickeln soll.
Wir beziehen unser Zimmer im 4. Stock, welches wir schwer atmend und mit einer kleinen Verschnaufpause im dritten Stockwerk dann schließlich erreichen. Es ist gemütlich und elegant eingerichtet, was uns verwundert, denn bis dato hatten wir nie ein so schönes Zimmer. Doch dann auch schon die Überraschung: es gibt keine Heizung! Ernsthaft? Bei den draußen herrschenden Temperaturen um den Gefrierpunkt und die nicht sehr wärmegedämmte Bauweise - keine Heizung? Unglaublich, aber wahr! Und nur eine ganz normale Decke im Bett. Nur gut, dass wir unsere Schlafsäcke dabei haben, in die wir uns unter der Bettdecke hinein kuscheln können. Später sollen wir erfahren, dass es anderen Reisenden hier am Altiplano (Hochebene) von Peru in deren Unterkünften nicht anders ergangen ist. Scheinbar ist das hier üblich und die Einheimischen an die Kälte gewöhnt.


Der Hunger treibt uns auf die verregneten Straßen und wir hoffen ein Restaurant zu finden deren Küche geöffnet hat. Denn - halleluja, die nächste Überraschung - in ganz Copacabana ist aufgrund des Schneeregens der Strom ausgefallen. "Ach, das passiert hier in letzter Zeit öfters wegen des unbeständigen Wetters." Aha. Wir haben Glück und finden ein Restaurant, deren Küche auch großteils ohne Strom funktioniert und deren Gastraum romantisch mit Kerzen ausgeleuchtet ist. Wir erfreuen uns am schönen und stillen Ambiente und dem guten Essen!

Gestärkt und motiviert nach dem leckeren Candlelight Dinner beschließen wir dass wir in den nächsten Tagen die Gegend rund um den See erkunden wollen.


Daraus sollte allerdings nichts werden. Der Sauerstoffmangel raubt uns zwar ein wenig den Schlaf, aber viel schlimmer ist, dass Alejandro in der Nacht mit furchtbar starken Kopfschmerzen zu kämpfen hat. Die Tabletten gegen die Symptome der Höhenkrankheit mildern seinen Schmerz nur sehr wenig, nach dem Frühstück sind sie schon fast unerträglich. Mein Körper hat sich über Nacht schon sehr gut angepasst, die leichten Schwindelanfälle werden stündlich weniger und nach ein bis zwei Tagen wäre ich wohl fit gewesen für eine Wanderung. Alejandro aber leider nicht.

Wir wussten, dass das passieren kann, denn er leidet häufig an Migräne, doch wollten wir es zumindest versuchen. Leider sind unsere Ängste jedoch wahr geworden und wir versuchen so schnell als möglich wieder ins Tal zu kommen. Was gar nicht so einfach sein soll...

Zurück nach La Paz wollen wir nicht, von dort würden wir nur auf die andere Seite der Anden zum Regenwald hin absteigen können. Unsere einzige Möglichkeit um der Höhe als auch der Tropenhitze zu entgehen, ist, wieder an die Küste zu reisen. Ein Bus direkt nach Tacna in Peru, möglichst gleich am Vormittag? "Ja, gibt es mittags, aber der fährt erst nach Puno (Peru), auch hier oben auf der Hochebene, dann müsst ihr umsteigen in den Nachtbus. Aber da werdet ihr fünf Stunden in Puno auf den Nachtbus warten müssen. Früher fährt keiner." Uff. Und jetzt? Wir fragen bei verschiedenen Agenturen an, immer das gleiche Ergebnis. Bis wir an eine Dame gelangen, der unser Wohlergehen am Herzen liegt und uns mitteilt, dass wir den Weg nach Puno auch auf eigene Faust antreten können und dort ein Bus um 14 Uhr nach Tacna abfährt. Das klingt nach einem neuen Abenteuer, das wir gerne annehmen!

Die nette Dame erklärt uns noch in allen Einzelheiten wie wir nach Puno kommen, dann laufen wir schon los um unsere Rucksäcke zu holen. Mit den Taxi lassen wir uns an die peruanische Grenze führen - wir sind ja noch in Bolivien - und stellen uns in die lange Warteschlange beim bolivianischen Immigrationsbüro. Schlechtes Timing, denn kurz vor uns sind zwei volle Reisebusse aus Peru hier angekommen, die nun alle vor uns in der Schlange stehen. Ob sich das wohl mit 14 Uhr in Tacna ausgeht?! Hab ich schon erwähnt, dass es immer noch unangenehm schneeregnet?


Nach 30 Minuten warten und frieren haben wir endlich unseren Ausreisestempel aus Bolivien und wandern 200 Meter weiter zur peruanischen Immigrationsstelle. Dort geht es schneller voran und schon nach zehn Minuten suchen wir uns eines von diesen dreirädrigen Moto-Taxis, die wir in Peru lieben gelernt haben. Es ist immer wieder amüsant, wir in dieses kleine Gefährt zwei Passiere, zwei ebenso große Rucksäcke und noch zwei kleinere Rucksäcke reinpassen. Ich muss schmunzeln und es macht mir trotz des Regens Spaß. Das Moto-Taxi bringt uns lediglich von der Grenze zur nächsten Ortschaft, von wo aus wir einen der uns schon vertrauten Mini-Busse nach Puno nehmen müssen. Nach dem selben Prinzip wie schon im Regenwald, müssen wir warten bis der Bus voll ist und nach für uns langen 20 Minuten endlich abfährt. Noch knappe zwei Stunden Fahrt vor uns nach Puno. Wir sehen den Bus um 14 Uhr nach Tacna schon ohne uns abfahren. Während wir so im Minibus sitzen, kommt uns die große Erleuchtung, dass wir nun ja wieder eine Stunde aufgrund der Zeitverschiebung zwischen Peru und Bolivien gewonnen haben - neue Hoffnung erwacht.
Dann endlich, um 13:15 Uhr erreichen wir den Busbahnhof in Puno, aber nur den nationalen. Wir müssen erneut mit einem Moto-Taxi zehn Minuten zum internationalen Busterminal fahren. "Nur die Ruhe... es wird sich alles ausgehen. Wir liegen gut in der Zeit." Die große Überraschung erfolgt dann am besagten Terminal: Jene Agentur, die angeblich um 14 Uhr abfahren soll, kennt hier niemand. Wir fragen einen Taxifahrer ob jene Agentur vielleicht in der Nähe abfährt, doch auch er verneint. NEIIIIN... die ganze Aufregung dafür, dass wir nun doch fünf Stunden bis zur Abfahrt des Nachtbusses warten müssen.... Aaaarggg! 😡Naja, aber es war ein tolles Abenteuer den Weg von Copacabana in Bolivien nach Puno in Peru eigenständig zurück zu legen. Das hat viel mehr Backpacker-Flair als einfach nur im Bus zu sitzen 😉

Wir kaufen unser Ticket für den Nachtbus der um 20:30 Uhr abfährt, geben unsere Rucksäcke auf und machen uns auf den Weg ins Stadtzentrum um die Zeit totzuschlagen. Und als Entschädigung für den anstrengenden Weg über La Paz und Copacabana nach Tacna schenken wir uns ein schönes Abendessen in einem eleganterem Lokal. Wir hoffen, dass es neben dem guten Essen auch etwas wärmer ist (auch ohne Heizung) und verbringen die nächsten drei Stunden im Lokal. Die Teller haben wir leer geputzt, so lecker war das Essen. Alejandro hat die berühmten peruanischen Meerschweinchen gekostet, ich ein Alpaka-Filet - und hätte uns niemand gesagt, dass das auf dem Teller Meerschweinchen ist, hätten wir es für Huhn gehalten, aber lecker war es jedenfalls!


Die letzten zwei Stunden verbringen wir am Busbahnhof. Und ratet mal... es ist eisig kalt! Offene Türen, löchrige Dächer von denen das Regenwasser tropft und keine Heizung natürlich! Mir ist das zu blöd und pack meinen Schlafsack aus. Sollen die anderen doch denken was sie wollen, die Einheimischen laufen auch eingewickelt in Decken durch die Gegend. So eingemummt lässt sich's aushalten!


Endlich dürfen in den Bus einsteigen. Wir haben diesmal Sitzplätze im unteren Stock gekauft. Einerseits sind sie gemütlicher weil sich die Sitzlehne weiter umlegen lässt auf 160 Grad und ich die Hoffnung habe, dass mir bei der Abfahrt durch die Serpentinen nicht so sehr schlecht wird. Dank Anne, die wir in Tambopata kennen gelernt haben, besitze ich jetzt auch Tabletten gegen Reiseübelkeit und es soll sich heraus stellen dass sie sehr gut helfen 😉 Viel geschlafen habe ich diese Nacht dennoch nicht. Der Schneeregen hat sich wieder in starken Schneefall verwandelt und die Bergstraßen mit einer dicken Schneeschicht überzogen. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, dass der Bus auf der schneebedeckten Fahrbahn sich da jetzt über die Serpentinen hinunter quälen wird und schließe lieber mal die Vorhänge. Nach zwei Stunden hält der Bus und es werden Schneeketten angelegt, ein scheinbar aufwendiges Unterfangen bei einem Reisebus - noch dazu in der Nacht. Ob mich das Anlegen von Schneeketten jetzt beruhigt bin ich mir nicht so sicher. Irgendwie gelingt es schließlich in einen unruhigen Schlaf zu fallen.

Ich bin überglücklich, mit zwei Stunden Verspätung dann endlich in Tacna aus dem Bus steigen zu dürfen. Wie es jetzt weitergehen soll, ist mir in dem Moment ziemlich egal... ich bin einfach nur froh, heil unten angekommen zu sein. Dass wir uns von unserem Ziel Paraguay nun ziemlich weit entfernt haben, soll mir erst später bewusst werden...


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